Boing!

Jede Frühschicht – natürlich außer am Wochenende — jede Frühschicht also, die der Schöpfer in seiner Güte der Menschheit schenkt, begann mit einem possierlichen Schauspiel: Der Tross versammelte sich. Man hörte ihn – so man die Tür öffnete – wie ein umtriebiges Bienenvolk durch die Stockwerke wabern. Assistenten, Oberärzte, PJ-ler, Gäste, Förderer, Mägde und Knechte – ach nein- die nun nicht. Aber alle anderen schon: Sie machten sich auf zum Rapport, zur Frühbesprechung, zur Schande oder zum Lob des Tages.

Zuletzt oder auch mittendrin: the Godfather of Menschenheilung.

Die Wege einer Klinik gehen einem in Fleisch und Blut über, so man dort eine gewisse Zeit wandelt. Man weiß genau, wann man spätestens den Kopf heben muss, um nicht gegen Türen oder Aufzüge zu laufen. Die Anzahl der Schritte ist einem in Gewebe und Nervenbahn – also in Fleisch und Blut übergegangen. Man weiß, wann es Zeit ist, abzubiegen oder streckt die Hand nach der Türklinke instinktiv aus, ohne sie wirklich und wahrhaftig zu sehen. Geistiges Auge und so.

Bildquelle: Pixabay. Beelitz Heilstätten

Der Tross, der da seinen bandwurmähnlichen Gang jeden Tag gemeinsam durch das Haus antrat – flux dem Besprechungszimmer entgegen – arbeitete im höchster Effektivität. Aus Gründen der Sparsamkeit ihrer aller Ressourcen, kürzen sie den Weg ab, indem sie durch die Notaufnahme liefen. Drei Flure sowie mehrere Abbiegungen wurde dadurch eingespart. Dort, wo die Patienten aus dem Warteraum Einlass in die heiligen Hallen der Heilkunst fanden, wurde es so, morgens kurz vor 8 Uhr, schon mal voll.

„Spare in der Zeit, dann hast du in der Not!“

Oder wie meine ehemalige Oberschwester Hilde einst schon sagte: „Wenn du sitzen kannst, dann sitze und wenn du liegen kannst, dann liege.“ Vielleicht hätte sie hier noch wohlwollend hinzugefügt: „Und wenn du abkürzen kannst, kürze ab!“

An einem der Tage hatte sich – aus unerfindlichen Gründen – the Godfather of Menschenheilung verspätet. Alle waren schon durch. Mein Kollege rief daher schon einmal einen Patienten auf. Man möchte ja nicht die Patienten verwirren, indem sie mit dem Tross durch die Tür „schwappen“. Schwungvoll öffnete er die Tür, um den Fußlahmen hereinzulassen, als es „boing“ klapperte, gefolgt von einem aufstöhnenden „aua“ sowie einem gepflegten „Ach du Scheiße“, welches dem Kollegen entfuhr.

The Godfather of Menschenheilung hatte sich an diesem Morgen scheinbar verschätzt. Zu spät schaute er auf, um zur Türklinke zu greifen, die ja auch nicht in diesem Moment an seinem Platz war, sondern sich – weil der Kollege die Tür aufriss – völlig woanders befand. Seine Gewohnheit, der Schutz des Schwarm sowie die Dienstbeflissenheit meines Kollegen waren ihm in die Quere gekommen. Nun zierte the Godtaher of Menschenheilung eine Kopfplatzwunde mitten auf der Denkerstirn. Auweia!

Flugs wurde sein Wunscharzt aus der Besprechung geholt, der ihn wieder zusammenflicken möge. Ein Klammerpflaster obendrauf und ein Coldpack später war er geheilt und nahezu wie neu – doch scheinbar tief in seinem Innersten zerrüttet: Diese gefährliche Türe! Was hätte nicht alles passieren können. Gemeingefährlich das alles! So würde es nicht weitergehen können. Niemand sollte erneut Opfer dieser Tür des Grauens werden. Er würde es zu verhindern wissen!

Und so kam es also, dass an einem schönen Tage, als ich durch diese gemeingefährliche Tür zum Dienst gehen wollte, eine kleine Gruppe hochmotivierter Menschen davor stand: The Godfather of Menschenheilung ebenso wie der Klinikleiter, die Chefs der Notaufnahme, der Sicherheitsbeauftragte der Klinik mit wichtigem Klemmbrett im Anschlag und die Pflegedienstleitung. Sie alle hatten sich eingefunden, um eine Art Sicherheitsbegehung zu machen. Gemeinsam überlegten sie, welche Möglichkeiten, Risiken, Sicherheiten und dergleichen nötig wären, um andere vor einem ähnlichen Schmerz und Schicksal wie die des Gotfathers of Menschenheilung zu schützen. Konspirativ und sehr ernst. Wohlwollend. Abwägend. Unfallverhütend.

Man kam nach einer Stunde intensiven Gesprächs drauf, ein Stück (abwaschbares – natürlich!) Trassierband anzubringen. Sowie eine Gummischutzlitze über die gesamte Türstocklänge. Zur Abfederung und Sicherheit zukünftiger Blindfische, die gerne gegen Türen laufen. Zumauern wurde verworfen ebenso wie eine Art Poller mitten im Flur. Auch andere, lustige Ideen wurden nicht weiter verfolgt. Man wollte ja die Tür im Haus, sprich die Kirche im Dorf lassen. Haha – kleines Scherzchen.

Man war sich einige, dass dieses Gespräch hilfreich und gut war – auch im Hinblick auf zukünftige Generationen. Sie alle würden von des Godfathers of Menschenheilungs Erlebnissen profitieren. Keiner würde mehr leiden müssen! Im tiefen, befriedigten Gefühl der Rettung auf dem kleinen Dienstweg trennten sich ihre Wege wieder. Lob und Preis!

Nur wir – die Knechte und Mägde des Hauses – blieben ein wenig ratlos zurück. Hätten wir ähnliches erwarten könne, wären wir gegen diese Tür gelaufen? Oder hätte man uns ins Genick gehauen – mit einem strengen: „Mach halt deine Augen auf, du ****!“ (Ergänze ein Schmähwort deiner Wahl). Wenn wir eine Klärung des Sachverhalts gewollte hätte, um auf die Gefahr einer sehr , sehr gefährlichen Tür aufmerksam zu machen: Hätte man uns Gehör geschenkt? Oder wären uns am Ende dieses wegen möglicher Peinlichkeiten erst gar nicht in den Sinn gekommen?

Diese Fragen werden wohl nie geklärt werden. Nie.

Wir aber waren sehr froh gewesen, dass sie hiermit nun immerhin einmal richtig abgeklärt wurde. In Gänze. Und Fülle.

Na gut. Vielleicht lachten wir auch ein wenig. Aber nur ganz verstohlen.

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Von Ingeborg Wollschläger

Dreißig Jahre war ich Krankenschwester und davon über zwanzig Jahre in einer Notaufnahme beschäftigt. Im März 2020 erschien mein Buch „Die Notaufnahmeschwester - ein Alltag zwischen Leben, Tod und Wahnsinn“ im Penguin Verlag. 2018 kehrte ich der Pflege den Rücken und bin seitdem als Seniorenreferentin für die Betagten meiner Kirchengemeinde zuständig. Gepflegt wird nun nicht mehr: Jetzt wird "gehegt". In Gruppen und Kreisen, Gottesdiensten und bei jeder Menge Hausbesuchen bin ich mit den Seniorinnen und Senioren in engem Kontakt. Mit großem Interesse lausche ich dort den Geschichten der alten und manchmal auch sehr weisen Menschen. Der wahre Luxus meines derzeitigen Berufes ist, dass ich Zeit habe, mir Lebensgeschichten anzuhören. Ich darf nachfragen und bekomme fast immer Antworten. "Nebenbei" bin ich freiberufliche Journalistin für das Radio (u.a. Klassik Radio) sowie Mitglied der Redaktion des „Evangelischen Sonntagblatts aus Bayern“. Ich habe drei Söhne, einen Halbtagshund und liebe Suppe.

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