„Die Nacht zieht auf und meine Wacht beginnt.
Sie soll nicht enden vor meinem Tod.
Ich will mir keine Frau nehmen, kein Land besitzen, keine Kinder zeugen.
Ich will keine Kronen tragen und keinen Ruhm begehren.
Ich will auf meinem Posten leben und sterben.
Ich bin das Schwert in der Dunkelheit.
Ich bin der Wächter auf den Mauern.
Ich bin der Schild, der die Reiche der Menschen schützt.
Ich widme mein Leben und meine Ehre der Nachtwache.
In dieser Nacht und allen Nächten, die da kommen.“
Diese Vereidigung der Männer von der Nachtwache drang neulich in mein Hirn, als ich morgens, pünktlich um 6.12 Uhr, den Aufzug Richtung heimatliches Bett betrat.
And now her watch is ended.
In diesem Fall stimmte es mehr als sonst, als ich diesen Satz zu meinem Herzenkollegen sagte. Mehr als „ended“. Quasi aus die Maus. Im besten Fall für immer.
Liebe Freunde der Notaufnahmeschwester,
mit dem morgigen Tag starte ich in eine neues, aufregendes, hoffnungsvolles Leben jenseits der „Mauern“ der Notaufnahme. Nach knapp 21 Jahren mach ich mich auf.
Ich mache mich auf, etwas Neues zu (er)leben, andere Erfahrungen zu sammeln, Horizonte entdecken und mit meiner Kreativität spielen zu gehen.
Ich habe gekündigt.
Irgendwo und irgendwann auf Twitter habe ich mal den schönen Tweed gelesen:
WILL ich das?
Will ICH das?
Will ich DAS?
(Sollte der Autor das lesen, bitte melde dich! Dann möchte ich dich feiern und dir danken für diese Sätze! Und deinen Namen hier nennen, auf dass dir Ru(h)m und Ehre winkt!)
Ruhm und Ehre dem Autor – hier das Orginal, mit freundlicher Genehmigung von @Mountain_lover
https://twitter.com/_Mountain_lover/status/857580792691740672
Die Antwort – für mich – auf diese Sätze war jedenfalls in vielerlei Hinsicht: Nein! Nicht so. Nicht mehr! Geht mir alle fort! Wer sich wundert über diese harschen Worte sei ein Hashtag wie #twitternwierueddel oder der Hashtag #Pflegenotstand empfohlen.
In „meiner“ Notaufnahme hat sich – gerade in den letzten Monaten – unfassbar viel verändert. Es wurde und wird strukturell und personell umgebaut, neu sortiert, modernisiert, aufgestockt und vieles mehr. Manches ist von der Idee weiter entwickelbar und gut, manches ist einfach Kopf-Tisch.
Vor 10 Jahren hätte ich vielleicht begeistert ob des möglichen Wandels mit jeder Menge Potenzial für Neubeginn begeistert die Ärmel hochgekrempelt.
Heute seufze ich angeödet.
Allein wenn ich die Worte „Personal- oder Kostenneutral sowie Arbeitskreis“ lese, zucken meine Augen wir bei Shaun dem Schaf. Oder ich blicke leicht fassungslos um mich wie dieses Schaf – Lama – Alpaka hier:
Draußen vor der Türe erzählen mir Kollegen von einer 1 : 30 Besetzung auf Station.
Die Grippe. Der Wolf. Das Lamm. Hurz! Irgendwas ist immer.
Auf die Frage zwecks einer Überlastung/Gefährdungsanzeige winken sie erschöpft ab. „Hatte wir schon alles gemacht. Die PDL sagt, woanders ist es auch so!“
Vielleicht muss wirklich der Pflegekarren mal so richtig an die Wand gefahren werden, bevor sich was tut. Aber natürlich erst, nachdem ein Arbeitskreis gebildet wurde. Zwecks der Prozessoptimierung und überhaupt. Wissta Bescheid, nech. Ist wichtig! Müssen wir erstmal so ein bis zwei Jahre und wöchentlich zusammensetzten und darüber diskutieren, warum um Himmelwillen die Pflege keine Lust mehr auf Pflege hat. Ging doch bisher auch!?
WILL ich das?
Will ICH das?
Will ich DAS?
Ich will es nicht mehr.
Ich will nicht mehr dabei sein, wenn sieben neue Kollegen auf einen Streich angelernt werden müssen. Ich will nicht mehr die Einzige sein, die alles Gipsen kann und gelernt hat über die Jahre, die Übersicht zu behalten.
Ich will nicht mehr die Mutti für die Ärzte sein. Die Verwanlungsfachangestellte, die sich zum Rapport einfinden muss, weil irgendeine Abrechnung von einem „Nicht EU-Bürger“ falsch aufgenommen wurde. Ich will nicht mehr jemand sein, der „da“ ist – aber eigentlich ist es auch wurscht ob ich es bin oder jemand anderes: Hauptsache, der Laden läuft und alle haben überlebt.
Man kann sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass die Sätze der Nachtwache von Games of Trones die Sätze der Pflege sein könnten.
Ich will auf meinem Posten leben und sterben.
Ich widme mein Leben und meine Ehre der Nachtwache.
In dieser Nacht und allen Nächten, die da kommen.“
Liest man all die Tweeds und Artikel und Posts, wundert man sich, warum das meine Kollegen landauf-landab mit sich machen lassen. Über Jahre. Zu scheiß Bedingungen. (Entschuldigt die Wortwahl. Sie war Absicht!) Also gibt es scheinbar doch eine Verpflichtung bis die Schicht ein Ende hat? Oder ist es die Berufung, von der alle so gerne reden , dass einen an den Arbeitsbereich nagelt- auf Gedeih und Verderben, aber mit viel Herz? Für viele mag das so stimmen. Möglich ist aber auch, dass vielen schlicht Alternativen fehlen – aus mannigfaltigen Gründen (Um auch mal dieses schöne Wort unterzubringen). Oder auch der Mut.
Für mich stimmt es nicht mehr. Veränderungen tun Not.
Und so packte ich mein(e) Patiententüte Köfferchen in Form von 100.000 Erfahrungen, den Schabernack mit meinen Kollegen, sieben eigenen Kulis und drei Paar Schuhe, Kaffeepads und Notfallgummibärchen, einer Schachtel Zahnstocher (?), zwei Paar Socken, die mir eine Herzenskollegin schenkte und zog aus meinem Schrank aus.
Mein eigentliches Karriereziel ist ja: Niemals bitter werden.
— Lara Fritzsche (@larafritzsche) March 29, 2018
Dieses Karriereziel habe ich zumindest bisher erreicht. Verbitterung liegt mir fern. Dazu bin ich zu realistisch. Und mit glücklicherweise mit Humor gesegnet. Es ist wie es ist. (Und wie es hoffentlich kommen muss, damit Veränderungen endlich einmal stattfinden (werden)).
Ab jetzt werde ich hoffentlich Senioren glücklich machen. Keine Pflege, aber Hege. Mit Zeit – einem Luxus in unsere Welt. Keine endlose Hetze mehr. Dafür Aktionen, Öffentlichkeitsarbeit, tolle Projekte – all das wartet in meinem Herzen darauf, losgelassen zu werden und auf fruchtbaren Boden zu fallen.
Kein Wochenenddienst. Keine Nachtschicht. Keine Urlaubspläne, bei dem man um Tage ringen muss. Kein aufgezwängter Dienstplan überhaupt. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen wie sich das anfühlen mag – nach 30 Jahren im Schichtdienst. Nun werde ich keine Entschuldigungen mehr für Elternabende und sonstiges haben. Au weia. Gott-sei-Dank.
Es wird mir so vieles fehlen. So unfassbar vieles. Unendlich vieles.
Einer der Internisten, der nicht den Status „Ehemaliger Medizinstudent“ hatte (der Kenner wird wissen, wovon da die Rede ist), kam an meinem letzten Tag zu mir. Er herzte und drückte mich. Er bedankte sich für den Spaß den wir hatten und für vieles mehr. „Weißt du, Notaufnahmeschwester, ich hab soviel von dir gelernt – du warst wie eine Mutter zu mir!“
Sagen wir mal so: Aus der Nummer in der Wäschekammer bin ich dann wohl mittlerweile raus!
Bei meinem allerletzten Gips war ich etwas wehmütig.
„Wissen sie – das hier ist mein allerletzter Gips im Leben – wenn alles gut geht!“
„Warum?“, fragte der Patient interessiert. „Gehen sie in Rente?“
„Ich geh jetzt weinen!“ du Pfosten. Siehst du nicht mein glänzendes Haar? Meinen frischen, rosigen Teint? Den geschmeidigen Gang? Mein zugewandes, herzliches Wesen?
Freunde. Der Wechsel war/ ist also nötig. Ich passe mich quasi schon mal vorab meinem zukünftigen Klientel an. Wenn das nicht voller Arbeitseinsatz ist!
And now her watch is ended.
Und nun ist meine Wache zu Ende.
Und ich weine und lache gleichzeitig.
Wenn ihr mögt – ich habe noch 100 Geschichten im Kopf, die nur darauf warten, endlich geschrieben zu werden. Schichtdienst sucks. Aber jetzt habe ich ja eine neue Form der Tagesgestaltung. Wäre ich jetzt der Nerd, für den mich einige Kollegen halten, würde ich hier und jetzt eine Umfrage starten, ob ihr noch Lust auf wahre, ungeschminkte Geschichten aus der Notaufnahme habt. Habt ihr?
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