Warteräume

Gefühlt 467 Mal in einer Schicht schicke ich Menschen in  den Warteraum:

„Bitte nehmen Sie noch einen Moment Platz.“

„Wir rufen Sie auf.“

„Wenn wir mit den Voruntersuchungen bei ihrem Angehörigen fertig sind, rufen wir Sie dazu.“

Und dann sitzen Sie und warten.

Die Kranken, Mühselig und Beladenen. Die Unfallopfer und die, die nur mal „nachschauen“ lassen wollen. Die akut Kranken und die, die seit Tagen/ Wochen/ Monaten/ Jahren mannigfaltige Beschwerden haben. Dazu die Angehörigen und manchmal auch der komplette Fanclub.

Die Geduldigen und die Aufbrausenden. Die Verständnisvollen und die, die ganz genau zu wissen meinen, dass man sie absichtlich warten lässt.

Warteräume können Orte des Schreckens sein. Die Luft ist generell stickig. Gemütlichkeit wird durch Kunstblumen versucht zu erzeugen.  Aber bitte – was soll das mit dem Hauch von Gemütlichkeit. Der Lesezirkel ist abgegriffen.

Warteräume sind nicht gemütlich. Warteräume sind per se nicht schön.

Bei Fußballübertragungen schaltet einer den Fernseher an. Wenn man schon selbst gestrauchelt ist und mit schmerzenden Extremitäten wartete, möchte man zumindest sehen, ob und wie es andere besser machen.

Schachweltmeisterschaften hat noch nie einer geschaut. Obwohl es auch so gefährlich ist, wie mir neulich ein Fußballer erklärte. „Die bekommen alle Herzinfarkte wegen der Spannung oder so.“

Der Zustand des Wartens ist schlecht auszuhalten. Er ist ungerecht. Gefühlt.

Schließlich sind wir es gewohnt, dass wir immer alles sofort, direkt und gleich bekommen. Wir alle haben das Warten verlernt. Abwarten erst recht.

Der Raum ist auch gefüllt mir Menschen, die möglicherweise nicht in eine Notaufnahme gekommen wären, wenn sie ein bisschen zugewartet hätten. Schnupfen vergeht. Umgeknickte Knöchel schwellen mit ein bisschen Geduld und alten Hausmitteln von selbst wieder ab. Aber halt nicht sofort. Und schließlich weiß man ja auch nie. Und überhaupt. Zur Sicherheit sind sie alle da.

Alle anderen scheinen eher dran zu kommen. Keiner kümmert sich. Keiner beachtet einen. Man sitzt. Zählt Schuhe. Muster in der Tapete. Minuten. Hört sich Geschichten von anderen Verletzten an. „Puh. So schlimm!“ Wer will schon gerne anderer Leut´s  Katastrophenberichte hören.

Manche flüchten vor alle den Geschichten, Gerüchen und Gebrechlichkeiten in den Flur. Am besten in die Einflugschneise des Rettungsdienstes. Damit man hoffentlich wahrgenommen wird.

Waghalsige gehen vor die Türe und rauchen erst mal eine.  Auch auf die Gefahr hin, die Sprechanlage, die den erlösenden Aufruf knarzen könnte  zu überhören.

Warten ist merkwürdig.

„Während beim Nichtwarten die Zeit einfach vergeht, ohne dass wir Kenntnis von ihr nähmen, rückt sie für den Wartenden ins Zentrum seiner Wahrnehmung.“

Und soll ich was verraten?

„Wir“ hinter den Türen warten auch. Auf Untersuchungen, zu denen wir die Patienten begleiten können. Auf Laborwerte. Auf Ärzte, die nebenbei auch noch nach Patienten im Krankenhaus schauen müssen.

Wir warten, dass die einen abgeholt werden. Bis ein Raum für den nächsten aufgerüstet ist.

Auf den Kollegen, der uns hilft, die 170 kg Patientin zu lagern. Eine vollgestrullerte Buxe frisch zu machen. Das der Raum zum Gipsen frei wird. Oder der Raum für das Einrichten für gebrochene Knochen. Das das Personals des Herzkatheters kommt. Oder überhaupt der Patient auf seine Station kommt und endlich abgeholt wird. Aber dort ist das Personal knapp und oder dass Essen wird gerade ausgeteilt oder es ist „Übergabe“. Irgendwas ist immer.

Wir warten, dass der Patient vom Rauchen zurück kommt. Oder vom Klo. Oder vom Röntgen.

Aber im Gegensatz zu dem Warteraum haben wir das „Glück“ ständig – trotz dieser Wartezeiten – beschäftigt zu sein. Wir „jonglieren“ mit vielen Patienten gleichzeitig. Wir rennen hin und her und hegen und pflegen. Bei sommerlichen Temperaturen fließt uns mir der Schweiß beim Blut abnehmen brennend in die Augen. Die Lüftung ist wie beim ICE ähnlich schnell überfordert. Der einzig durchklimatisierte Raum wird von Patienten fröstelnd gemieden, während wir so gerne dort ein wenig länger verweilen würden.

Die Zeit rast nicht wie im Alltag dahin. Sie schleicht für den, der wartet.  Warten ist Nichtstun. Und wer will das schon, wo wir doch alle die Hemdsärmel aufgekrempelt haben.

Wir wissen das. Wir sitzen vor dem Computer und warten auf den Laborbericht – wie bei der Fernsehserie „Quincy“ rufen wir dort an – damit es endlich weitergeht.

Wir fühlen mit.

Und oft würden wir gerne öfters in den Warteraum gehen um den Angehörigen zu sagen: „Es ist soweit alles in Ordnung. Machen Sie sich keine Sorgen. Wir kümmern uns.“

Aber dann geht es auf einmal weiter – für uns „hinter“ den Türen – und dann laufen wir los.

Das allerdings sieht keiner im Warteraum. Und schellt lieber fünf mal und fragt nach, wie lange es noch dauert. Und ob wir überhaupt was machen oder nur Kaffee trinken und uns die Eier kraulen. Und wo er sich beschweren kann, weil: „Das ist ja voll die Unverschämtheit, wie lange man hier warten muss!“

Und wir verstehen es. Weil: Warten ist scheiße nicht schön.

Und wenn ein bisschen Zeit ist, versuchen wir all den Ungehaltenen dieses hier zu vermitteln:

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Fundstück Internet

 Aber es tröstet wenig. 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Allgemein

Von Ingeborg Wollschläger

Dreißig Jahre war ich Krankenschwester und davon über zwanzig Jahre in einer Notaufnahme beschäftigt. Im März 2020 erschien mein Buch „Die Notaufnahmeschwester - ein Alltag zwischen Leben, Tod und Wahnsinn“ im Penguin Verlag. 2018 kehrte ich der Pflege den Rücken und bin seitdem als Seniorenreferentin für die Betagten meiner Kirchengemeinde zuständig. Gepflegt wird nun nicht mehr: Jetzt wird "gehegt". In Gruppen und Kreisen, Gottesdiensten und bei jeder Menge Hausbesuchen bin ich mit den Seniorinnen und Senioren in engem Kontakt. Mit großem Interesse lausche ich dort den Geschichten der alten und manchmal auch sehr weisen Menschen. Der wahre Luxus meines derzeitigen Berufes ist, dass ich Zeit habe, mir Lebensgeschichten anzuhören. Ich darf nachfragen und bekomme fast immer Antworten. "Nebenbei" bin ich freiberufliche Journalistin für das Radio (u.a. Klassik Radio) sowie Mitglied der Redaktion des „Evangelischen Sonntagblatts aus Bayern“. Ich habe drei Söhne, einen Halbtagshund und liebe Suppe.

8 Kommentare

    1. Meine Hausärztin hat so ein gemütliches Wartezimmer. Es gibt einen Zimmerspringbrunnen, einen Flatscreen mit beruhigenden Bildern und leise Düdelmusik im Hintergrund. Es macht mich wahnsinnig. Gott sei Dank musste ich da bisher nicht so lange warten 😉

  1. Sehr treffend formuliert! Ich kann die Patienten und Angehörigen absolut verstehen, sie sind in einer Ausnahmesituation…. auch ich warte nicht gerne! Trotz allem: ein wenig mehr Verständnis beiderseits und mehr Kommunikation unsererseits würde uns das Arbeiten in einer Notaufnahme erleichtern.
    Ich bin seit 25 Jahren im Notfallzentrum tätig und es macht mir immer noch Spaß!!! Natürlich je nach Situation mal mehr oder auch mal weniger wenn die Rahmenbedingungen mal wie meist wieder sehr starr sind…..)-:

  2. Das Gute am Warten ist… es verändert sich vieles. Was schlimm war wird unerträglich, was Angst machte, wird zur Panik, aber so manches relativiert sich, ist plötzlich nicht mehr dringlich oder gar unwichtig. Ich habe noch nie soviel über Menschen gelernt, wie in Wartezimmern.

  3. Ich muss beim dem Thema immer an einen Aufenthalt in der Notaufnahme/kinderärztlichen Notfallsprechstunde hier in der Stadt denken. Hier ist beides zusammen organisiert und die Kinderkrankenschwestern sortieren erstmal wer wohin geht.
    Unser kleiner Säugling hatte Schüttelfrost, 39,5 Grad Fieber. Ich bin Altenpflegerin. Die Atemfrequenz, das Schütteln waren aber selbst mit Hintergrundwissen einfach furchtbar. Vor allem beim eigenen Kind. Mein Mann durch den Wind, ich durch den Wind. Wir warten und warten und warten. Schauen der Hälfte des Personals beim Essen zu. (Warum gehen die dafür nicht in einen Nebenraum?) Warten immer noch. Irgendwann wird die Atmung des Säuglings ruhiger, sie schläft ein. Mein Mann schaut mich an, ich schaue meinen Mann an. Sogar er meint:“ Jetzt könnten wir eigentlich wieder heim gehen.“ Haben wir natürlich nicht. Wir waren ja dann schon da. Wir durften uns aber noch von der Kinderärztin anmachen lassen, warum wir denn überhaupt gekommen seien. Hinterher ist man immer schlauer.

  4. Oh ich kann deine Worte so gut nachvollziehen und kenne solche Situationen seeeehr gut aus meinem Berufsaltag auf einer ehemaligen internistischen Notaufnahme und später ITS. Ich hatte häufig das Gefühl, dass ich mehr Zeit mit den Wartenden verbringe, um sie zu beruhigen, ihnen zu erklären, dass wir uns kümmern, es aber nicht brav nach der Reihe geht wie im Supermarkt. Ich kenne auch die Seite des Wartenden und hatte daher schon auch Verständnis, aber manchmal können die Wartenden einem den letzten Nerv rauben.

    Du hast das sehr toll verbalisiert!!!:)

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