Meine Ruh ist hin

Alle, die keine Klassik mögen – ihr müsst heute was anderes lesen. Ich habe keine Geschichte für euch.

Alle anderen können/ sollen/ müssen  meine  bekloppten erhebenden Gedanken dazu  weiterlesen.

Heute hätte Franz Schubert seinen 219. Geburtstag. Ich mag ihn sehr. Spätestens seit ich mich das erste Mal verliebt hatte und das „Gretchen am Spinnrad“ hörte. Kaum einer bringt diese „Herzen in Aufruhr -Geschichte“ so gut hin.

Ich stieß also – mehr so innerlich- mit einem Gläschen Sekt auf Franz Schubert und das Gretchen an. Und dachte: Manches passt 1 : 1 auf die Arbeit. In ein Krankenhaus. In eine Notaufnahme.

Willkommen bei Franz und Gretchen in der Notaufnahme

 

    Meine Ruh ist hin,
Mein Herz ist schwer;
Ich finde sie nimmer
und nimmermehr.

Nachtschicht. Ich hör dir trapsen. Nächste Woche ist es wieder soweit. Da ist meine Ruh auch hin. Und mein Herz wird schwer. Und finden? Finden werde ich sie in den folgenen Nächten nimmer und nimmermehr. 

      Wo ich ihn nicht hab,
Ist mir das Grab,
Die ganze Welt
Ist mir vergällt.

So kann es einem gehen, wenn der Arzt nicht kommt. Der Patient nörgelt, weil der Arzt fehlt und der Angehörige wundert sich , warum es so lange dauert. Das kann einem die Welt/ Schicht durchaus vergällen.

      Mein armer Kopf
Ist mir verrückt,
Meiner armer Sinn
Ist mir zerstückt.

Wie fühlt sich eine Migräne an? Genauso fühlt es sich an! Genauso. Ein armer, verrückter Kopf.  Ein armer, zerstückter Sinn.

      Meine Ruh ist hin,
Mein Herz ist schwer,
Ich finde sie nimmer
und nimmermehr.

Die Ruhe ist ebenfalls hin, wenn man Patienten hat, die sehr instabil sind. Da schleicht man  um die Liege herum, den Beatmungsbeutel im Visier, und den Kram zur Intubation griffbereit.

      Nach ihm nur schau ich
Zum Fenster hinaus,
Nach ihm nur geh ich
Aus dem Haus.

Zum Fenster hinauschauen ist die etwas altmodische Variante, dem säumenden Arzt hinterher zu telefonieren.

      Sein hoher Gang,
Sein edle Gestalt,
Seines Mundes Lächeln,
Seiner Augen Gewalt,

Und dann kommt er! Mit viel Glück kommt jemand mit hohem Gang und edler Gestalt. Wenn nicht – auch schon wurscht. Hauptsache, es geht irgendwie weiter. Manchmal sind ja auch echte Sahneschnittchen dabei.

      Und seiner Rede
Zauberfluß,
Sein Händedruck,
Und ach! sein Kuß!

Sahneschnittchen Ärzte können durchaus unfassbar lustig und komisch sein. Auch rasend gutaussehend. Manche verstehen dazu ihr Handwerk. Das ist großartig. Da macht es Freude, zu arbeiten. Aber küssen. Pfff.  Sowas machen wir nicht. Das ist erfunden! Das weiß man doch! 

      Meine Ruh ist hin,
Mein Herz ist schwer,
Ich finde sie nimmer
und nimmermehr.

Liebe im Krankenhaus kommt ausschließlich in Arztromanen vor. Stop. Halt. Ich hab meinen Mann…. IN ARZTROMANEN! NUR DA!

      Mein Busen drängt
Sich nach ihm hin,
Ach dürft ich fassen
Und halten ihn,

So ähnlich kam ich mir neulich vor, als ich mit einem unglaublich dicken, älteren Herrn auf der Toilette war. „Schwester – ich muss mal!“ So hoch und zerbrechlich seine Stimme auch klang – auf dem Klo war es dann dezent anderes. Er drängte sich an meinen Busen. Und wollte ihn fassen. Gerne auch halten. Ich nicht.

      Und küssen ihn,
So wie ich wollt,
An seinen Küssen
Vergehen sollt!

Ach. Das waren noch Zeiten. Damals mit dem Gatten und den Geschichten, die ausschließlich in Arztromen vorkommen . NUR IN ARZTROMANEN! *hüstel*

Gretchen im Spinnrad. Tolles Stück. So gegenwärtig. Ich liebe es.

Von Ingeborg Wollschläger

Dreißig Jahre war ich Krankenschwester und davon über zwanzig Jahre in einer Notaufnahme beschäftigt. Im März 2020 erschien mein Buch „Die Notaufnahmeschwester - ein Alltag zwischen Leben, Tod und Wahnsinn“ im Penguin Verlag. 2018 kehrte ich der Pflege den Rücken und bin seitdem als Seniorenreferentin für die Betagten meiner Kirchengemeinde zuständig. Gepflegt wird nun nicht mehr: Jetzt wird "gehegt". In Gruppen und Kreisen, Gottesdiensten und bei jeder Menge Hausbesuchen bin ich mit den Seniorinnen und Senioren in engem Kontakt. Mit großem Interesse lausche ich dort den Geschichten der alten und manchmal auch sehr weisen Menschen. Der wahre Luxus meines derzeitigen Berufes ist, dass ich Zeit habe, mir Lebensgeschichten anzuhören. Ich darf nachfragen und bekomme fast immer Antworten. "Nebenbei" bin ich freiberufliche Journalistin für das Radio (u.a. Klassik Radio) sowie Mitglied der Redaktion des „Evangelischen Sonntagblatts aus Bayern“. Ich habe drei Söhne, einen Halbtagshund und liebe Suppe.

11 Kommentare

  1. Das ist eine höchst originelle Schubert-Interpretation. 😆
    Und Liebe bzw. Liebeleien zwischen Arzt und Schwester gibt es nur in Romanen oder bei „Grey’s Anatomy“ (meine Lieblings-Krankenhaus-Serie 😉 )?

    1. Natürlich! Nur dort. Wo denkst du hin? Liebe und Leidenschaft in der Umkleide? Tiefe Blicke über den OP Tisch hinweg?…. *Notitz an mich selbst: Arztschnulze schreiben* Grey’s Anatomie war mir persönlich immer zu unlustig. Alle immer mühselig und beladen. Weit und breit nur Kummer und Psycho. Nach der 2. Staffel war Schluss mit Unlustig.

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