„Da wurden mir nur die Infusionen abgestöpselt oder wieder hingefummelt. Mehr ließ die Zeit nicht zu. Das war ein blödes Gefühl!“
„Wie? Da hat niemand mit dir gesprochen? Ein persönliches Wort an dich gerichtet? Dir mal über den Arm gestreichelt?“
„Nein.“
Schlicht und einfach war dieses ,Nein`.
In einem Nebensatz erzähle mir eine Bekannte von ihren Erfahrungen auf der Onkologie. Da fällt dir doch nix mehr ein!
Natürlich gibt es so Tage, wo man einfach gepflegt besser die Klappe hält. Oder die Empathie auf Sparflamme läuft. Ja. Die gibts.
(Vorgestern zum Beispiel. Ich hatte eine junge, sehr sensible Frau, die sich den Arm gebrochen hat. Sie bekam den Arm betäubt. Mit geschlossenen Augen lag sie auf der Liege und kommentierte durch. „Jetzt berühren sie den Arm!“ „Ja“. „Jetzt machen sie irgendwas mit meinem Daumen!“ „Tut es weh?“ „Nein!“ Auge halb auf, durch den Spalt geblinzle: „Aber ich merke, dass die etwas machen!“ „Ja. Genauso soll es sein. Wir haben den Arm betäubt, damit sie keine Schmerzen haben. Aber sie merken natürlich noch, dass wir etwas daran machen.“ „Jetzt berühren sie meinen Arm!“ „Ja.“ Das ging eine halbe Stunde so. Und obwohl du dir den Mund fusselig redest, kommt es irgendwie nicht an. Ja. Ich weiß. Die Angst. Die ungewohnte Situation. *seufz*. Genau aus diesem Grund fange ich nicht an, verrückt zu werden und im Kreis zu laufen. Denn einen Kommentarbären zu haben, während man sich konzentrieren möchte – ach. Mitunter schwierig. Wir haben es beide dennoch gut hinbekommen. Es war nicht einfach. Ich wurde gegen Ende etwas einsilbig. Das wiederum änderte sich, als ich sie auf die Toilette begleitete und sie ohne Ende strullerte . Wahrscheinlich hat ihr die Blase bis zum Hals all die unendlich vielen Worte schier herausgepresst. Dafür habe ich größtes Verständnis und war versöhnt.)
Dennoch. Ich bleibe dabei: Kleinigkeiten müssen sein. Den kategorischen Imperativ der Krankenpflege hab ich auf Twitter gelesen:
Aus. Äpfel. Ende.
Dem gibt es nichts hinzuzufügen.
Und es erstaunt, dass es offensichtlich genügend Kollegen gibt, die solche Gedanken nicht hegen und pflegen. (Ich habe Glück: In meinem direkten Arbeitsumfeld kenne ich das nicht.) Ich lese viel darüber und höre zu, was Patienten von ihren Erlebnissen erzählen. Manchmal ist es erschreckend. All diese „grumpy“ Kollegen. Himmel!
Heute habe ich „Leserpost“ bekommen:
Echte Notfallpatienten sind allerdings mitsamt ihren Begleitpersonen immer auch in einem emotionalem Ausnahmezustand. (…) Gerade hochbetagte Patienten sind außerhalb ihres gewohnten Umfeldes schon deshalb desorientiert und panisch, weil sie weder gescheit hören noch sehen. Als Angehörige kann ich auch nicht stundenlang daneben stehen (auf dem Flur oder in einem Untersuchungsraum) und eine alte Frau beruhigen, wenn ich nicht mal einen Stuhl bekomme oder die Chance, mich mit Essen und Trinken zu versorgen. Idealerweise würde ich mir eine Art Angehörigenbetreuer vorstellen, der oder die erstmal den Stress rausnimmt und Handlungssicherheit vermittelt. Ganz einfache Hinweise (jetzt wird dies und das passieren…gehn sie mal nen Kaffee trinken…dort ist das Klo) würden sehr helfen.
Das kann ich alles genauso unterschreiben. So würde ich auch gerne behandelt werden. So muss man den anderen behandeln.
(Gut. Bei der 15. Saufnase schwindet schnell die Empathie. Ich gebs zu. Aber hey- wir sind Profis. Da muss man durch. Und das kann man auch schweigend, aber einigermaßen freundlich. Oder man holt rechtzeitig die Polizei dazu, bevor man eins auf die Mütze kriegt. Manchmal hat man auch unerwartet Spaß: Das Neuste ist jetzt, dass man sich nicht nur mit Alkohol zulaufen lässt, sondern gerne eine Kombipackung mir irgendwelchem Drogengesocks zu sich nimmt. Kräuermischungen, Tütchen, was weiß ich. Ich musste neulich sehr lachen, als in einem Behandlungszimmer einer lag, der ein sehr angeregtes Gespräch mit dem Infusionsständer führte.)
Zurück zum Thema: Stress hin oder her – in Falle meiner Bekannten kann mir keiner erzählen, dass für Kleinigkeiten der Zuwendung keine Zeit ist. Ja. Wir leben in der Pflege in mitunter extrem stressigen Zeiten. Aber man kann auch bei den Routinearbeiten den Menschen ein gutes Gefühl schaffen:
Nicht über den Patienten hinweg reden.
Mit dem Patienten reden.
Körperkontakt. Ja – man kann Patienten anfassen, ohne übergriffig werden. Die Hand über die des Anderen legen. Grobe und schnelle Bewegungen vermeiden. Hand auf die Schulter.
Eine Decke holen (Ich bin großer „Decken-drüber-werf-Freund“. Frisch eingeliefert und möglicherweise leichtbekleidet in einer Notaufnahme ist eine Ausnahmesituation. Da braucht es was, was einen „schützt“: Eine Decke. Ich habe meine Kinder im Babyalter gepuckt. Es war großartig zu sehen, wie man mit so einfachen Mitteln ein Gefühl wie Sicherheit herstellen kann. So stell ich mir das immer vor, wenn ich ,meine`Patienten zudecke. (Abgesehen davon frieren Menschen ab einem gewissen Alter immer, ständig und stets.)
Den Erklärbär geben. Auch wenn es der 25. Patient an diesem Tag ist: Für ihn ist alles neu.
Geduld haben. *grrrrr*
Angehörige miteinbeziehen – wenn es passt. Oder beruhigen – so wie es in meiner Leserpost geschrieben steht.
Wir können das.
Ich nenne es den „Gott der kleinen Dinge“ – damit es nicht irgendwann für uns oder die Patienten wie in dem Film „Der Gott des Gemetzels“ endet.
Darüber hinaus gibt es noch unendlich viele Möglichkeiten, wie man nett mit dem Anderen umgeht. Wenn ich manchmal zur Arbeit komme und eine der Internistinnen sehe, streiche ich ihr hin und wieder über den Rücken, weil ich mich freue, sie zu sehen. Dann dreht sie sich um und sagt: „Weißt du, wie gut das eigentlich tut?“
Ja. Es tut gut. Und ja: Es ist ein Prozess, der jeden Tag geübt und gelebt sein möchte. Das gelingt manchmal überraschend gut und leicht.
An anderen Tagen misslingt es.
Dann kommt ein neuer Tag. Und es geht weiter mit der Pflege, die wir uns für uns oder für unsere Angehörigen wünschen würden.
(Und bevor mir hier einer das Poliertuch für meinen Heiligenschein überreichen möchte: Haltet ein! Ich bin vieles – aber keine Heilige! Ganz bestimmt nicht.)
Ich danke @NaddlOr dafür, dass ich ihren Tweed benutzen darf.
… aber du bist ein emphatischer Mensch! Und trotzdem ist es immer noch so: wie man in den Wald hineinruft, so kommt es heraus.
Ja. Das stimmt.
Vielleicht keine Heilige – sber vielleicht Heiliger als die heilig gesprochenen… Und auf jeden Fall im richtigen Beruf! Unbekannterweise ein DANKE dafür!
Ein Mensch mit Gefühl – einer der denkt (mitdenkt) und einem etwas die die Angst nehmen kann – der nicht abgehärtet ist.
Kein Gott sondern ein gefühlvoller Mensch an der richtigen Stelle.
Ich war eine Zeit auf der Intensivstation und hab gesehen wer es kann und wer nicht, so zu sein!
Lebst und arbeitest du zufällig in München? Bitte, sag‘ ja, und in welchem Krankenhaus! Denn wenn ich mal eine Ambulanz aufsuchen müsste, dann würde ich mich so sehr gerne von jemandem wie dich betreuen und versorgen lassen.
Toll, klingt nach Berufung und nicht nur Beruf, das ist toll – leider erlebe ich auch zu
häufig eher so Situationen, wie von deiner Freundin geschildert…..
Ich wünsche dir, das du noch lange in dieser Art und Weise pflegen magst & kannst!
Herzliche Grüße <3