Käsefüße und selbstgestrickte Socken

Mit dem Kopf schon fast im „Frei“, schaffte ich mich durch den letzten Frühdienst vor den Feiertagen.

Eine Frau stellte sich vor. Das Outfit war ungewöhnlich zusammengestellt: Ein SlinkyShirt in vorweihnachtlicher güldener Farbe umspielten zusammen mit der locker sitzenden Beuteljogginghose den mächtigen Körper. BH? Firlefanz! Die Füße zierten Schuhe vom orthopädischen Schuhmacher. „Ich hab einen Klumpfuß und eine Hammerzehe. Mein  Schuhmann schlägt schon immer die Hände über dem Kopf zusammen, wenn ich schon wieder komme. Aber ständig passt was nicht!“

Möglicherweise lag es auch an dem deutlichen Käsegeruch  – ach was schreib ich da: der Geruch einer ganzen Käsefabrik – der aus den solide verarbeiteten Schuhe hochqualmte. Eine olfaktorische Herausforderung. Bestimmt auch für den Schuhmann.

Nein. Sie war nicht die hellste Kerze auf der Torte. Aber irgendwie süß und anrührend. Die Stimmlage war erstaunlich hoch. Fast ein bisschen wie bei Alvin von den Chipmunks.

Die EKG Kabel verschwanden irgendwo unter Busen und zwischen Bauchfalten, während ich mich mit ihr über Socken unterhielt. Socken?

Fragt mich nicht, wie ich darauf kam. Ich unterhalte mich immer ganz gerne. Gerne über „Nichtmedizinisches“.

Socken. Da waren wir ganz nah beieinander. Denn sowie die Vorweihnachtszeit beginnt, überkommt mich das Verlangen, Socken zu stricken. Es geht schnell, man sieht relativ zügig ein vorzeigbares Ergebnis – ganz auf meiner Linie also.

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Und während ich das EKG schrieb, Blut abnahm und den Blutdruck mit der XXL Manschette maß, unterhielten wie uns über ihr Bauchweh, über die Vorzüge der Bumerangferse sowie überhaupt über Selbstgestricktes.

„Ich strick die Ferse ja immer doppelt. Bei meinem Verlobten hält nichts anderes! Sofort kaputt – sage ich ihnen. Jetzt sitzt er im Warteraum und strickt an einem Schal für den Flohmarkt. Der soll auch mal was schaffen.“

„Ach. Sie haben einen Verlobten?“

„Ja. Im Warteraum. Da sitzt er mit seiner Strickliesel. Was anderes kann er noch nicht.“

Ich grinste innerlich. Gott  – der  alte Schlem! Ich hab wunderschöne, unbeabsichtigt alleinlebende Freundinnen. Ein Verlobter ist weit und breit nicht zu finden. Während „meine“ Miss Flodder mit mächtigem Leib, fettigen Haaren und unglaublichen Käsefüßen (sie behielt die Schuhe an!) einen Verlobten im Warteraum Schals stricken ließ. Das Schicksal ist manchmal ein mieser Verräter – aber eben nicht für alle.

Nachdem sie nicht so sehr leidend war  – „Ich wollte es nur mal abklären lassen, was mich da seit zwei Wochen so plagt“ –  durfte sie beim Verlobten im Warteraum Platz nehmen.

Ich holte sie später ab und sah ihn.

Eifrig war er über eine Art Megastrickliesel gebeugt. Seine Zunge lugte vor Anstregnung und Konzentration aus dem Mund, während er einen quietschgelben Faden über die Hacken der Strickliesel zog. Muss ich erwähnen, dass er etwa die Häfte seiner Holden war? Ein dünnes Bärtlein zierte seine Wangen. Die Brille hatte die Dicke von Glasbausteinen.

„Das ist mein Verobter“, wurden wir vorgestellt. Ich konnte den Stolz in ihrer Stimme hören. „Mein Verlobter“.

„Ach. Und das sind also die Schals!“

„Ja“, sagte der Verlobte und hielt mir einen Meter fertigen Schal vor die Nase. „Manchmal huscht mir eine Masche davon. Aber dafür ist es ja auch selbst gemacht.“

Freunde – ich weiß was sich gehört: Ich nahm den Schal in meine Hände und bewunderte ihn. So eine hübsche, außergewöhnliche Farbe. (Wer mit diesem Schal unter die Räder kommt, kann sich sicher sein, dass es der Fahrer ernst meint). Ach, die vielen Maschen, die da nicht mehr erwischt wurden – macht ja nichts. Da darf man mal nicht so kleinlich sein. Der Wille zählt. Und die Freunde am Selbstgemachten.

Und weil sie irgendwie so süß waren, wie sie da so „flodderlich“ saßen und so eifrig waren und sich so umeinander sorgten und zusammen hielten und ich es spürte, log ich auch nicht.

Der Schal war großartig. Doppelgestrickte Fersen sind super. Der äußere Schein und Duft kann täuschen. Das Herz zählt.

 

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Von Ingeborg Wollschläger

Dreißig Jahre war ich Krankenschwester und davon über zwanzig Jahre in einer Notaufnahme beschäftigt. Im März 2020 erschien mein Buch „Die Notaufnahmeschwester - ein Alltag zwischen Leben, Tod und Wahnsinn“ im Penguin Verlag. 2018 kehrte ich der Pflege den Rücken und bin seitdem als Seniorenreferentin für die Betagten meiner Kirchengemeinde zuständig. Gepflegt wird nun nicht mehr: Jetzt wird "gehegt". In Gruppen und Kreisen, Gottesdiensten und bei jeder Menge Hausbesuchen bin ich mit den Seniorinnen und Senioren in engem Kontakt. Mit großem Interesse lausche ich dort den Geschichten der alten und manchmal auch sehr weisen Menschen. Der wahre Luxus meines derzeitigen Berufes ist, dass ich Zeit habe, mir Lebensgeschichten anzuhören. Ich darf nachfragen und bekomme fast immer Antworten. "Nebenbei" bin ich freiberufliche Journalistin für das Radio (u.a. Klassik Radio) sowie Mitglied der Redaktion des „Evangelischen Sonntagblatts aus Bayern“. Ich habe drei Söhne, einen Halbtagshund und liebe Suppe.

7 Kommentare

  1. Du könntest vielleicht Geschichten erzählen! Du solltest ein Buch daraus machen – ich wette, das würde abgehen wie warme Semmeln!

    Ich habe fast geweint bei der Geschichte, so süß und (nicht)alltäglich ist sie!
    Großes NotaufnahmeschwesterKino, meine Liebe!

    Herzlichst und ich hoffe, Du hast noch einige ruhige Stunden?

    Sylvia

    1. Ich weiß gar nicht, ob es da so große Vorteile gibt. Ich stricke sie mittlerweile liebe als die „Fersenkappe“. Ich finde sie hübscher und leichter.
      Darauf aufmerksam geworden bin ich im Wollladen meines Vertrauens, als die Chefin zählend hinterm Tresen saß und daran strickte. Die gab mir „Nachhilfe“. Es war ein sehr vergnügter Nachmittag. Und wenn just an diesem Tag nicht so viele Kunden gekommen wären, hätte ich es möglicherweise auch gleich gecheckt. So saß ich dann ein bisschen ratlos zuhause und wusste es nicht mehr so genau, wie es weiter geht. Dafür hab ich mir dann youtube zur Hilfe genommen.
      Und dann – BÄM! -diese wunderbare Frau gehört. Fast so schön wie Bob Ross erzählt sie, wie es geht. „Und wieda das Stück wääänden“ – in einem wunderbaren österreichischem Schmäh. Zum dahinschmelzen!

  2. Bei solch „nicht perfekten“ Menschen ist häufig das Herz so groß wie ein Bergwerk. Und bei jenen, die äußerlich so schön und wohlgeraten einher kommen, hat der Große Weltengeist beim Verteilen der sogenannten emotionalen Intelligenz den Schöpflöffel verkehrt herum gehalten.

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