Das Leben ist ein Geschenk und es endet.

Ein Mitdreißiger kommt mit Herzschmerzen in die Notaufnahme. Seit er seine Symptome gegoogelt hat, tuts noch viel mehr weh, als die Tage davor.

Die Wangen sind hektisch gerötet, der Schweiß steht ihm auf der Stirn. Aber mehr so der Angsschweiß.

„Daheim“ hat er gerade eine Menge Streß. Ein Arbeitswechsel steht bevor und ein Umzug ohne die Frau.

Beim Blutabnehmen erzählt er mir, dass ein Bekannter neulich tot umgefallen wäre. Und das, obwohl er sportlich war, nie geraucht hat und sich sehr gesund ernährt hat. Wie kann das sein, fragt er mich? Darf das sein? Zahlt es sich nicht aus, wenn man alles „richtig“ macht? Was läuft falsch in der Welt? Da gehst du friedlich deiner Wege und zack – fällst du um und bist tot. Das geht doch nicht!

Doch. Offensichtlich geht das. Es passiert jeden Tag.

Angesichts der Dicke eines Pschyrembels  – dem „Klinischen Wörterbuch“, das gefühlt fünf Kilo locker wiegt –  frage ich mich eher, warum es nicht noch viel öfters passiert.

Wie kann das sein, dass Menschen sterben. Wie kann es sein, dass ich sterblich bin?

Ich schweife ab.

Die Frage aller Fragen. Derzeit aktueller denn je, denn rums – kann es passieren, dass du am Ende einem Attentäter im Wege stehst, der seine 72 Jungfrauen besichtigen möchte.

Die Gefahr ist so greifbar geworden. Der Tod könnte um die nächste Ecke lauern. Und dann? Dann ist es passiert. Obwohl wir uns gesund ernährt haben und versucht haben, kein Arschoch zu sein, der Oma über die Ampel geholfen haben, die Kinder immer hübsch zeitig zur Schule losgeschickt. Na ihr wisst ja.

Was ihr vielleicht nicht wisst ist, dass ich Pfarrerstochter bin. Das prägt fürs Leben. Im Guten wie im Schlechten.

Und da habe ich natürlich immer ein riesen Repertoir an Sprüchen im Kopf, die automatisch abspulen. Kann ich nix für. Ist so.

Wer von euch kann dadurch, dass er sich Sorgen macht, sein Leben nur um eine Stunde verlängern? (Lukas 12, 25 – falls es einer mal nachlesen möchte)

Nun wird gerade die Religion für dies und das und noch Schlimmeres schier mißbraucht, darum höre ich auch schon damit auf.

Abe die Frage ist interessant: Können wir –  dadurch, dass wir uns sorgen – unser Leben irgendwie verlängern?

Nein. Können wir natürlich nicht. Ich erlebe es jeden Tag auf der Arbeit, wie fraglil unser Leben ist. Ich arbeite da, wo viele Menschen gerade einen ihrer schlimmsten Tag im Leben erleben. Einmal nicht aufgepasst (oder ein anderer) – schon bist du in einen schlimmen Autounfall verwickelt. Kurz weggeschaut und schon bist du weggerutscht und hast dir was gebrochen. Streß ohne Ende und schon zeigt dir dein Körper deutlich: Freundchen – mach mal langsam. Oder deine Zellen entarten – aus welchem Grund auch immer.

Ich weiß schon. Ich vergleiche hier Äpfel mit Birnen.

Ein Armbruch/Herzweh ist kein Attentat in Paris.

Man könnte aber sagen: Auch wenn wir oft meinen, dass wir so vieles/ alles? unter Kontrolle haben: Wir haben es nicht.

Natürlich erhöht eine gesunde Lebensweise die Funktionalität des Körpers – ohne Frage. Und natülich macht es Sinn, im Straßenverkehr achtzugeben ( Ihr wisst schon. Die Beispiel können länger sein).

Aber darüber hinaus können wir wenig tun. Manches liegt einfach nicht in unserer Hand. (In wessen dann, mag und kann jeder für sich selbst beantworten)

Ich höre und lese derzeit überall und allenthalben wie man sich schützen kann vor der Welt/ Krankheit/ Unglück/ Unheil.

Und wer dafür verantwortlich sein soll.

Und wie und wo es die einzig richtige Antwort auf diese Fragen gibt. Und warum der andere so völlig falsch liegt mit seiner Meinung und deshalb ein Depp ist.

Gibt es so was überhaupt? Die richtige Antwort?

 

Das Einzige was man machen kann – so finde ich – ist, zu leben. Versuchen glücklich zu sein – oder zufrieden. Andere Menschen zu achten und zu lieben. Mit offenen Augen durch die Welt zu gehen und die Schönheit zu sehen. Sich nicht von der Angst unterkriegen zu lassen. Sondern: Brust raus – Bauch rein. Leben.

Wir können unser Leben durch Sorgen nicht verlängern. Oft noch nicht einmal besser machen (Nur noch zuhause sitzen, damit mir nie was passiert? Strenge Diät, damit ich keinefalls zuviel Cholesterin habe und somit keinen Herzinfarkt/Schlaganfall etc. bekomme? Menschen links liegen lassen, weil sie mir weh tun könnten – pysisch wie psychisch?)

Meine Weg ist das nicht.

Ich hab es in der Hand, mein Leben gut zu gestalten. Bis es eben endet (gerne lebenssatt und zufrieden.)

Ich liebe lieber, als zu hassen. Ich schaue lieber auf die Schönheit in der Welt, als auf das Grauen.  Ich bin lieber ein Gutmensch, als ein Arsch. Und ich esse lieber gerne, viel und gut, anstatt mich zu kasteien *öhm. räusper*.

 

Ich möchte einmal mein Leben mit einer Haltung beenden wie Alice Herz-Sommer.

Würde ich meiner Angst und meiner Sorge die Oberhand lassen, könnte ich so viel  Schönes verpassen. Wie blöd wäre das?

P.S. Der Mitdreißiger ging übrigens wieder nach Hause. Zwar gegen ärztlichen Rat – aber gut. Es war ja auch alt genug.

Er fühlte sich „beruhigt“ und wieder fit für alles. Ist doch auch schön!

 

 

 

 

 

 

 

Von Ingeborg Wollschläger

Dreißig Jahre war ich Krankenschwester und davon über zwanzig Jahre in einer Notaufnahme beschäftigt. Im März 2020 erschien mein Buch „Die Notaufnahmeschwester - ein Alltag zwischen Leben, Tod und Wahnsinn“ im Penguin Verlag. 2018 kehrte ich der Pflege den Rücken und bin seitdem als Seniorenreferentin für die Betagten meiner Kirchengemeinde zuständig. Gepflegt wird nun nicht mehr: Jetzt wird "gehegt". In Gruppen und Kreisen, Gottesdiensten und bei jeder Menge Hausbesuchen bin ich mit den Seniorinnen und Senioren in engem Kontakt. Mit großem Interesse lausche ich dort den Geschichten der alten und manchmal auch sehr weisen Menschen. Der wahre Luxus meines derzeitigen Berufes ist, dass ich Zeit habe, mir Lebensgeschichten anzuhören. Ich darf nachfragen und bekomme fast immer Antworten. "Nebenbei" bin ich freiberufliche Journalistin für das Radio (u.a. Klassik Radio) sowie Mitglied der Redaktion des „Evangelischen Sonntagblatts aus Bayern“. Ich habe drei Söhne, einen Halbtagshund und liebe Suppe.

6 Kommentare

  1. Wir sollten allesamt das Leben wie ein äußerst kostbares Geschenk behandeln, und ihm huldigen – unser eigenes Leben und das aller anderen… „Angst essen Seele auf“ – dieser Filmtitel ist mir beim Lesen deines Posts ganz spontan in den Sinn gekommen… Ich nehme mir immer wieder vor, nicht nach Krankheitssymptomen zu guggeln, wenn ich mal malade bin, denn auch ich habe schon des Öfteren die Erfahrung gemacht, dass das, was einem fehlt, dann noch viel schlimmer und gefährlicher wird. 😉

  2. Ein wirklich schöner und sehr, sehr wahrer Text. Zwischendrin musste ich schmunzeln, denn er erinnerte mich an einen alten Witz:
    „Herr Doktor, Herr Doktor, ich möchte 100 Jahre alt werden! Was muss ich dafür noch tun? Ich rauche nicht, trinke nicht, schaue kein Fernsehen, gehe jeden Tag um zehn ins Bett und habe keine Sex!“
    „Warum wollen Sie denn dann 100 werden?“

    Das Leben ist dazu da, es zu leben und zu genießen. Das Risiko und der Tod gehören dazu. Das wird in unserer Gesellschaft immer wieder gerne vergessen. Tod und Leben gehören untrennbar zusammen, und das eine ist so normal wie das andere. Die Angst vor dem Tod macht im Grunde nur eines: Angst vor dem Leben.

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