Nachbars Kirschen

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Da möchtest du mit deinem Kumpel mal ein paar Kirschen pflücken und naschen – also mehr so die im Garten des Nachbarn – da kommt der auch schon an. Wo er doch seine Kirschen so gehegt und gepflegt hat. Mir Argusaugen hat er über jede einzelne gewacht und sogar extra ein Netz über den Baum gefummelt. Wenn man keine Vögel haben möchte, dann auch nicht den halbstarken Nachbarsbub mit seinem Kumpel.

Die Freunde flüchteten. Über ein Mäuerchen. Der 19- jährige blieb hängen, stürzte und brach sich beide Ellenbogen. RECHTS und LINKS.

Es ist aber auch manchmal ein Elend. Quasi: Das Leben kann ein Arschloch sein.

Mama brachte ihn ins Krankenhaus. Während der Röntgenaufnahme ging sie in die Stadt, um Knickstrohhalme zu kaufen. Und ein Eis. Und eine Cola. Und ein belegtes Brötchen. „Der Junge braucht ja was. Oh wei, oh wei. Bestimmt sind die Arme gebrochen. Was mach ich dann nur? Der Vater ist auf Geschäftsreise und ich wollte übermorgen nach Amerika zu meiner Freundin fliegen. AchGottachGott. Das muss ich gleich absagen!“

„Hast du keine Freundin, die sich um dich kümmern kann?“, fragte ich ihn beim Gipsen.

„Doch, doch!“

„Dann kann dich dich doch pflegen!“

„Ach nein! Das soll lieber meine Mutter machen!“

Da fällt einem nix mehr ein.

„Wann genau ist aus „Sex, Drugs & Roch n Roll“ eigentlich Laktoseintoleranz, Veganismus & Helene Fischer geworden?“, fragt Tomkraftwerk auf Twitter?

Und ich frage mich? Wann sind aus den Kerlen (Gott-sei-Dank nicht alle!) eigentlich solche Pussis geworden? Mama macht das schon. Obwohl ich daheim die liebste und hübscheste Freundin ever, ever, ever habe.

Als ich so alt war wie das Bürschlein hätte ich vieles dafür gegeben, wenn Mutti mal nach Amerika geflogen wäre. Ich wäre aufgegangen in meiner Rolle: „Mach mir die Krankenschwester! Pflege mich gesund, mein Schatz und wisch mir mal den Po ab. Und dann gibts ein Küsschen!“

Aus Sex, Drugs und Rock n Roll ist mehr so – Kuscheln, Lebensversicherung und Familiespieleabend geworden. Mit ab und zu mal überschaubarem Blödsinn ( Nachbars Kirschen)

Aber da sieht man mal, was man davon hat. Brichste dir gleich beide Arme. Ist doof.

Von Ingeborg Wollschläger

Dreißig Jahre war ich Krankenschwester und davon über zwanzig Jahre in einer Notaufnahme beschäftigt. Im März 2020 erschien mein Buch „Die Notaufnahmeschwester - ein Alltag zwischen Leben, Tod und Wahnsinn“ im Penguin Verlag. 2018 kehrte ich der Pflege den Rücken und bin seitdem als Seniorenreferentin für die Betagten meiner Kirchengemeinde zuständig. Gepflegt wird nun nicht mehr: Jetzt wird "gehegt". In Gruppen und Kreisen, Gottesdiensten und bei jeder Menge Hausbesuchen bin ich mit den Seniorinnen und Senioren in engem Kontakt. Mit großem Interesse lausche ich dort den Geschichten der alten und manchmal auch sehr weisen Menschen. Der wahre Luxus meines derzeitigen Berufes ist, dass ich Zeit habe, mir Lebensgeschichten anzuhören. Ich darf nachfragen und bekomme fast immer Antworten. "Nebenbei" bin ich freiberufliche Journalistin für das Radio (u.a. Klassik Radio) sowie Mitglied der Redaktion des „Evangelischen Sonntagblatts aus Bayern“. Ich habe drei Söhne, einen Halbtagshund und liebe Suppe.

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